©Lotta Ulrich/ Ruben Dörfler

Am Samstag, dem 27.08.2022 fand in Rostock-Lichtenhagen eine bundesweite Demo statt, um an das Pogrom von vor 30 Jahren zu erinnern. Damals griffen Neonazis über mehrere Tage die ZAST* und ein benachbartes Wohnheim für vietnamesische Vertragsarbeiter*innen in der Mecklenburger Allee an. Sie warfen Molotowcocktails in die Fenster und setzten das Sonnenblumenhaus in Brand, während tausende Leute ihnen zuschauten und sie bejubelten. Die Feuerwehr wurde aktiv daran gehindert, den Brand zu löschen und die Polizei schritt nicht ein. Ein paar junge Antifaschist*innen versuchten sich dem Nazimob entgegenzustellen und es gelang ihnen, den Mob für kurze Zeit zurückzudrängen. Viele der Antifas wurden im Zuge dessen festgesetzt und verhaftet. Die Bewohner*innen der beiden Häuser waren auf sich allein gestellt und mussten sich selbst gegen den Mob vor ihrer Haustür verteidigen. Diesem Selbstschutz ist es zu verdanken, dass keiner der Betroffenen des Pogroms sein Leben verlor.

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Etwa 5000 Menschen aus dem gesamten Bundesgebiet haben sich in Lichtenhagen unter dem Motto “Erinnern heißt verändern” eingefunden, um an 1992 zu erinnern. Organisiert wurde die Demonstration von dem Bündnis “Gedenken an das Pogrom. Lichtenhagen 1992”. Im Mittelpunkt des Demoaufrufes standen sechs Forderungen, welche von der Benennung des Pogroms als solches über die Schließung aller zentralen Sammellager für Geflüchtete bis hin zu einem Bleiberecht und Abschiebestopp für Rom*nja und alle anderen Betroffenen rassistischer Gewalt reichte. “[…] [R]assistische Gewalt und institutioneller Rassismus gehen bis heute Hand in Hand. Dem Erinnern muss ein Handeln folgen”, so das Bündnis auf der eigenen Website.

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Die Demonstration teilte sich in drei Blöcke auf: An der Spitze lief der “We’ll come United“ – Block, welcher von migrantischen Selbstorganisationen gestellt wurde. Dahinter ordnete sich der Antifa – Block an und im hinteren Teil der Demo liefen verschiedene zivilgesellschaftliche Akteure. Der Antifa – Block hatte zwei Seitentranparente, welche jeweils etwa 25 Meter lang waren. Darauf zu lesen war “Die Pogrome von morgen verhindern” und “Antifaschistischer Selbstschutz!”. Nach der zweiten Zwischenkundgebung wurde im Block ein Dachtransparent mit dem Schriftzug “Nazis aufs Maul!” entrollt.

Auf den insgesamt 4 Kundgebungen haben viele verschiedene Initiativen und Einzelpersonen geredet. Unter anderem sprach Izabela Tiberiade über die Perspektive der Rom*nja, welche bis heute nahezu kein Gehör in Deutschland findet. Ihr Vater, Romeo Tiberiade, ist selbst Betroffener des Pogroms, da er zu diesem Zeitpunkt mit seiner Familie in der ZAST auf ihre Asylverfahren wartete. Die meisten Rom*nja mussten nach dem Pogrom selbstständig oder mit ihren Bekannten Rostock verlassen, um an anderen Orten Zuflucht zu finden. Jedoch gab es in der folgenden Zeit viele weitere Anschläge auf Asylbewerber*innenheime, welche vor allem von Rom*nja bewohnt wurden. Das führte dazu, dass nahezu alle von ihnen in den Monaten nach dem Pogrom Deutschland wieder verließen und erneut von vorn beginnen mussten. Da es lange keinen Kontakt zu den betroffenen Rom*nja gab, war es umso bedeutsamer, dass sie bei dem diesjährigen Gedenken zu Wort kamen. Ein Redner sagte zu einem späteren Zeitpunkt: “Nochmal ganz deutlich: Wir wollen kein Stück vom Kuchen. Wir wollen Baklava für alle! Denn es kann keinen Antirassismus ohne Antikapitalismus geben.” Insgesamt wurden viele Perspektiven auf das Pogrom und die vergangenen 30 Jahre der Gedenkpolitik geschildert.

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Die Demonstration verlief durchgehend friedlich und wirkte sehr kraftvoll. Die Polizei hielt ihre Präsenz weitgehend in Grenzen und war mit knapp 300 Kräften vor Ort.

Während die Demo durch Lichtenhagen zog, zeigte ein Mann aus einer Wohnung im Sonnenblumenhaus den Hitlergruß. Laut Informationen des NDR wurde später am Abend ein Mann im Sonnenblumenhaus mit einer unbekannten Flüssigkeit besprüht und daraufhin ins Krankenhaus gebracht. Dabei handelte es sich mutmaßlich um dieselbe Person.

Das Bündnis “Neubrandenburg Nazifrei” berichtete außerdem von 6-7 Neonazis, die der „Neuen Stärke“ zuzuordnen sind, welche die Zuganreise von Güstrow nach Rostock störten. Sie versuchten anreisende Demoteilnehmer*innen einzuschüchtern, indem sie Drohungen aussprachen. Ein bekannter Neonazi schlug gegen die Scheibe des Zugabteils.

In der Nacht vor der Gedenkdemonstration in Rostock wurde im Leipziger Stadtteil Lausen-Grünau eine Geflüchtetenunterkunft angegriffen. Bisher unbekannte Täter warfen Brandsätze in die Unterkunft, welche von über 200 Personen bewohnt wird. Dabei wurde niemand verletzt. Dieser Anschlag führt uns erneut vor Augen, wie gefährlich neonazistische Strukturen sind. Wir müssen rechte Kontinuitäten brechen! 

* ZAST, “Abkürzung für Zentrale Aufnahmestelle für Asylbewerber”

 

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